Beten heißt, die Gefühle, Gesinnungen, Wünsche und Entschlüsse, welche der Gedanke an Gottes Größe, Güte und Heiligkeit, sowie die Betrachtung unserer eigenen Schwäche uns erwecken, vor Gott aussprechen. Demnach wird das Gebet im allgemeinen Folgenden Inhalt haben:
Die Empfindungen, welche die in der Natur und bei der Führung Israels und der Menschheit sich offenbarenden Macht, Weisheit und Güte Gottes in uns erwecken, drücken wir im Lobgebete (Schabbat, Tehela, Hallel) aus.
Die Erinnerung an die vielen Wohltaten, welche Gottes Vatergüte unseren Vätern erwiesen hat und uns täglich erweist regt uns zum Dankgebete (Toda) an.
Das Bewusstsein unserer eigenen und Israels Not, aus welcher nur Gott uns erlösen kann, und die Sehnsucht nach dem durch unsere und unserer Väter Sünden uns verloren gegangenen Wohlgefallen Gottes veranlasst uns zum Bittgebet (Tachana webekascha), dem sich namentlich an Fast‑ und Bußtagen das Sündenbekenntnis (Widui) anschließt.
Den Entschluß, durch Gehorsam gegen Gott dessen gütige Absichten zu fördern, damit der Menschheit möglichst bald das Heil werde, dass Gott ihr so gerne zuteil werden lässt, wenn sie sich dessen würdig erweist, drücken wir durch die Segnung Gottes (Bracha) aus.
Nach dieser Auffassung ist der Stamm Barach auch in Bezug auf Gott mit „segnen“ zu übersetzen. Man vergleiche R. Jakob ibn Chabib im Ain Jakow zu der merkwürdigen Stelle Jischmael Beni Barachni, auf welche dort (Brachot) kein Lob, sondern ein Segen folgt; außerdem Hirsch Pentateuchkommentar 5. Mos. 8, 10.
Da die Verwirklichung dieser seiner Absichten die allgemeine Anerkennung und Verehrung Gottes, also dessen größte Verherrlichung auf Erden zur Folge hätte, so ist die Bracha der erhabenste Bestandteil unseres Gebetes, weshalb die meisten unserer Gebete mit ihr entweder beginnen oder schließen, manche derselben sogar damit beginnen und schließen.
Wir sollen nicht selbstsüchtig bloß für uns beten, sondern auch für leidende Mitmenschen, wenn sie auch unsere Feinde sind. Namentlich sollen wir das verkannte, mit Unrecht verhöhnte und oft verfolgte Israel und die gesamte Menschheit in unser Gebet einschließen.
Herr, öffne meine Lippen, dass mein Mund dein Lob (Tehila) verkünde. Ps. 51,17.
Stimmet Gott Danksagung (Toda) an, spielet unserem Herrn zu Ehren mit der Harfe. Ps. 147,7.
Jedes Gebet, jede Bitte (Techina), die irgend ein Mensch haben mag unter deinem ganzen Volke Israel, indem er den Kummer seines Herzens fühlt und seine Hände emporhebt in diesem Hause, das mögest du im Himmel, deinem Thronsitze hören. 1. Kön. 8, 38,39.
Ich betete zu Gott, meinem Gotte, und legte ein Bekenntnis (Widui) ab, indem ich sprach: O Herr, großer und furchtbarer Gott, der
da hält Bund und Gnade denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, wir haben gefehlt, gesündigt, gefrevelt, uns empört und sind abgewichen von deinen Geboten und Rechten. Dan. 9. 4,5.
Segnet (Bracha) Gott, ihr seine Engel, Helden an Kraft, die ihr sein Werk vollstreckt, dass man höre auf die Stimme seines Wortes. Segnet Gott, ihr seine Scharen alle, seine Diener, die sein Wort vollziehen. Ps. 103. 20‑21.
Aber auch wenn ein Ausländer, der nicht deinem Volke Israel angehört, aus fernem Land kommt um deines Namens willen… und betet in diesem Hause, so mögest du es hören im Himmel, deinen Thronsitze, und alles gewähren, um was dich der Ausländer angerufen, damit alle Völker der Erde deinen Namen kennen lernen und dich verehren, wie dein Volk Israel. 1. Kön. 8, 41‑43.