1. Wie der Sabbat, so sind auch die Festtage unser leibliches und geistiges Wohl bezweckende Heilsanstalten. Doch unterscheiden sie sich vom Sabbat in ihrer Grundbedeutung, wie sie ihm in Seite 115 bezug auf das Verbot der Werktätigkeit auch nicht ganz gleich sind. Der Sabbat ist ein Denkmal der Weltschöpfung; in ihm feiert Israel ein Weltfest für die ganze Menschheit. Die Festtage sind nur eingesetzt zur Erinnerung an Wohltaten, die nur Israel von Gott empfangen hat, namentlich die Befreiung aus Ägypten ( ): darum sind die Festtage Nationalfeste Israels, welche uns insbesondere unser Bundesverhältnis zu Gott und unsere Verpflichtung, ihm zu dienen, zum Bewußtsein bringen sollen.
2. Nach der Art, wie die Feste dieses Bewußtsein in uns erwecken sollen, zerfallen dieselben in zwei Klassen; in freudige ( ) und in ernste, Jamim ( ). Die erste Klasse umfaßt: Pessach, Schawuot und Sukkot mit Sch’mini Azeret; sie sind freudiger Art, weil sie uns an die Wohltaten erinnern, die Gott uns infolge dieses Bundesverhältnisses erwiesen hat. Diese Klasse führt auch den gemeinschaftlichen Namen Schalosch Regelim (die drei Tempelwanderfeste), weil an jedem dieser Feste alle männlichen, am Sukkot jedes siebenten (schmita) Jahres auch alle weiblichen Personen im Tempel erscheinen mußten. Damals waren diese Feste wirkliche National‑ und Volksfeste, von welchen uns ( ) nur Erinnerung und Hoffnung übrig geblieben ist. Zur zweiten Klasse gehören Rosch Haschana und Jom Kippur, sie sind ernster Art; denn sie sollen uns daran erinnern, dass wir dem Bunde Gottes nicht immer treu geblieben sind, und deshalb zu aufrichtiger Rückkehr zu Gott (Teschuwa) ermahnen.
3. Sämtliche Feste haben ihren Grund in gewissen Ereignissen in der Geschichte Israels, die drei Tempelwanderfeste außerdem auch in der zu ihrer Feier festgelegten Jahreszeit. Die geschichtlichen Bedeutungen der einzelen Feste stehen unter sich im Zusammenhang, so dass alle Feste zusammen eine Einheit bilden. Sie sollen uns nämlich die leibliche und geistige Entstehungsgeschichte des israelitischen Volkes, welche für den ganzen Verlauf der israelitischen Volksgeschichte als Vorbild dienen sollte, im Laufe jedes Jahres in Wiedererinnerung bringen, damit wir aus der Art, wie wir Gottes Volk geworden sind, erkennen, wie wir Gottes Volk bleiben können. Damit die geschichtlichen Ereignisse, welche durch die Festtage uns ins Gedächtnis gerufen werden sollen, sich unserem Geiste recht tief einprägen, hat die Tora uns für einzelne Feste besondere Vorschriften als Erinnerungsmittel geboten.
Demnach haben wir bei der Betrachtung der Feste im einzelnen auf dreierlei zu achten: auf die geschichtliche und jahreszeitliche Bedeutung und auf die besonderen Festvorschriften.