1. Obschon das Schlußfest so nahe an das Hüttenfest gerückt ist, dass es häufig als dessen achter Tag betrachtet wird, so ist es doch ein selbständiges Fest. Die Selbständigkeit dieses Festes kam im Tempel auf mannigfache Weise zum Ausdruck; bei uns geschieht dies durch eine besondere Benennung beim Gebet ( sch’mini chag ha‑azeret) und durch den Segensspruch hasch`mini, welcher an den letzten Pessachtagen nicht gesprochen wird.
2. Insofern der erste Tag dieses Festes, als der Kalender dieses Festes noch nicht feststand, zweifelswegen noch zum Hüttenfest zu zählen war (57,3), so gilt für diesen Tag noch das Gebot des Hüttenwohnens. Doch spricht man nicht den Segensspruch und schläft nicht in der Hütte. Der Lulaw wird jedoch nicht mehr genommen. Denn nach der Vorschrift der Tora ist er nur im Tempel sieben Tage zu nehmen, außerhalb Jerusalems aber nur am ersten Tage. Dass wir ihn jetzt sieben Tage nehmen, geschieht zur Erinnerung an den Tempel auf Anordnung unserer Weisen s.A., die es für diesen Tag angeordnet haben.
3. Geschichtliche Bedeutung. Nach der Überlieferung unserer Weisen s.A. verhält sich das Schlußfest zum Hüttenfest, wie das Wochenfest zum Pessachfest. Es sollte eigentlich auch fünfzig Tage vom Hüttenfest entfernt sein, wurde aber wegen des herannahenden Winters in die bessere Jahreszeit hinaufgerückt. Wie wir nun am Wochenfeste die geistige Erlösung als Vollendung der uns am Pessach zuteil gewordenen leiblichen Erlösung feiern (62,1), so feiern wir am Schlußfest die geistigee Erhaltung Israels, die Erhaltung der Tora als Volksseele, während wir am Hüttenfest die Erhaltung des Volkskörpers feiern. Das Schlußfest gleicht auch darin dem Wochenfeste, dass wir an demselben keinerlei besondereVorschriften zu befolgen haben.
4. Die Namensbedeutung des Festes. Die Bezeichung „Schlußfest“ gibt die hebräische Bennung des Festes: Azeret nicht richtig wieder. Das Wort azar bedeutet „zurückhalten“ , „bei sich behalten“ von Menschen und Dingen. Nach der Auslegung unserer Weisen s.A. will uns Gott durch dieses Fest noch einen Tag bei sich zurückhalten, dass wir die Eindrücke sämtlicher Feste des Jahres noch einmal in uns auffrischen, um sie in uns zurückzubehalten, bis der Kreislauf aufs neue beginnt, ganz besonders aber den Gedanken an die Gesetzgebung.
5. Jahreszeitliche Bedeutung. Dieses Fest gilt nach der Überlieferung unserer Weisen s.A. auch als Anfang des Winters. Wie wir am ersten Tag des Pessachfestes um günstige Sommerwitterung bitten (61,2), so an diesem Fest um günstige Winterwitterung (geschem), insbesondere um Regen, welcher namentlich in Palästina bald nach dem Fest niedergehen muß, wenn eine gute Ernte erwartet werden soll. Wir beginnen an diesem Tag beim Mußaf ein Lobgebet für die diese Gottesgabe (maschiw haruach) ins Gebet einzuschalten; die eigentliche Bitte um Regen ( ) wird erst später an einem im Kalender bezeichneten Tag (gewöhnlich 5. Dezember) ins Werktagsgebet eingeschaltet.
6. Auch die angegebene geschichtliche Bedeutung des Festes bringen wir beim öffentlichen Gottesdienst zum Ausdruck. Am zweiten Tag des Festes (Simchat‑Tora) wird der letzte Abschnitt der im Laufe des Jahres durchgelesenen Tora (48,6) vorgelesen und gleich darauf mit dem ersten Abschnitt die neue Vorlesung begonnen ( ). Es geschieht dies in feierlicher, freudiger Weise; es werden Umzüge mit den Torarollen gehalten und dabei Loblieder gesungen. Diese Freude trägt jeder fromme Israelit auch in sein Haus, und so schließt Israel an diesem Tage in der reinsten Freude über das einzige, höchste Gut, das ihm noch geblieben ist, die Tora, den jährlichen Kreislauf der göttlichen Feste.
Sieben Tage sollt ihr Gott ein Feueropfer darbringen; am achten Tag soll euch Berufung zum Heilgtum sein, da sollt ihr Gott ein Feueropfer darbringen, ein Tag bewahrenden Zusammenfassens ist es, kein Dienstwerk dürft ihr verrichten. 3. Mos. 23, 36.
Dreimal im Jahr sollen erscheinen alle deine Männlichen vor dem Angesichte Gottes, deines Gottes, an dem Orte, den er erwählen wird: am Fest der ungesäuerten Brote, am Fest der Wochen und am Fest der Hütten, und man soll nicht erscheinen vor dem Angesicht Gottes mit leeren Händen. Jeder nach der Spende seiner Hände ( ), nach dem Segen Gottes, den er dir gegeben hat. 5. Mos. 16, 16‑17.