Das Überschreitungsfest (Pessach)

1. Geschichtliche Bedeutung. Das Überschreitungsfest ist als Denkmal eingesetzt, das uns an die Befreiung Israels  aus Ägypten erinnern soll; darum nennen wir dieses Fest im Gebet Seman Haru­tenu, die Zeit unserer Befreiung. Mit dem Augenblick dieser Befreiung trat Israel in die Reihe der selbständigen Völker ein, mit ihr beginnt unsere viel mehr als dreitausendjährige  Ge­schichte. Darum ist dieses Fest das Geburtsfest Israls als Volk Der Name Pessach, Überschreitungsfest, erinnert uns daran, dass Israel verschont blieb vor den Strafen, welche Gott über die Ägypter verhängte, weil sie Israel nicht freigeben wollten, insbesondere, dass der Tod über Israels Häuser hinwegschritt (pesach = hinwegschreiten), als die Erstgeborenen der Ägypter starben.

Die Benennung Chag HaMazzot, Fest der ungesäuerten Brote, hat ihren Grund darin, dass uns der Genuß gesäuerten Brotes an diesem Feste verboten, der Genuß ungesäuerten Brotes aber an den beiden ersten Abenden geboten ist (siehe unten 3). Die Vor­schriften sollen uns daran erinnrn, dass die Befreiung so rasch eintrat, dass es unseren Vätern nicht möglich war, das zur Wegzeh­rung bestimmte Brot säuern zu lassen, weshalb sie es ungesäuert backen mußten. Auch soll dieses Brot uns das karge und geringe Sklavenbrot vergegenwärtigen, das unseren Vätern in Ägypten gereicht wurde. Nach der Überlieferung war es der siebente Tag nach dem Auszuge, an welchem Israel trockenen Fußes durchs Meer ging; an dieses größte aller Wunder erinnert uns daher der sieb­ente Tag des Festes. Beim Gottesdienst erhält diese Erinnerung Ausdruck durch die Toravorlesung (2. Mos. 13,17 bis 15, 26) und Festgesänge.

2. Jahreszeitliche Bedeutung. Die Tora gebietet, dass das Pessach­fest zur Anfangszeit des Frühlings, Awiw, gefeiert werden soll. Das Frühlingsfest des israelitischen Volkes soll zusammenfallen mit dem Frühling der Natur. Denn wie diese nach dem Winter neu erwacht, so erwachte Israel in Ägypten, so wird es dereinst wieder erwachen aus Druck und Leiden. Im Tempel erhielt diese jahreszeitliche Bedeutung Ausdruck durch Opferung der ersten Gerstengabe des Jahres (Omer). Bei unserem heutigen Gottesdienste besteht die Frühlingsfeier darin, dass wir vom Mußafgebet des ersten Festtages an die Bitte um günstige Winterwitterung ( ) auslassen und um günstige Sommerwitterung, insbesondere um Tau (Tal) bitten.

3. Besondere Festvorschriften, die wir am Pessach zu beobachten haben, sind folgende:

I.

a. Es ist uns verboten, Gesäuertes Chamez oder mit Gesäuertem Gemischtes ( ) am Pessach zu genießen, zu besitzen oder zu irgend einer Nutznießung zu verwenden, also sogar nicht zu verschenken. Das Genußverbot des Gesäuerten beginnt am 14. Nissan (Erew Pes­sach) nach Verlauf des ersten Drittels der Tageslänge, das Be­sitz‑ und Nutznießungsverbot um 1/12 der Tageslänge später. Auch nach dem Pessachfest ist das Gesäuerte, das während des Festes im Besitz eines Israeliten geblieben war, selbst wenn der Eigentümer nichts davon wußte, sowohl für ihn als für andere zu jeder Nutz­nießung verboten.

b. Als Gesäuertes ist zu betrachten: Die nach dem Abschneiden der Halme vor oder nach dem Dreschen durch Wasser naß gewordenen Körner aller Arten von Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und Hafer, also alles, was aus rohen, geschroteten, geschälten oder gemahle­nen Körnern dieser Getreidearten durch Einweichen oder Kochen zubereitet worden ist, sowie alles aus Mehl, Schrot oder Kleie dieser Getreidearten Gebackene, bei dessen Herstellung nicht mit der größten Sorgfald jede Säuerung verhindert worden ist.

c. Bei der Zubereitung dieser fünf Getreidearten zu Ungesäuertem (Mazza) für das Pessachfest sind folgende Vorschriften zu beach­ten.

aa. Das Mehl ist unter strenger Hut vor jeder Beimischung in gründlich gereinigten Mahlvorrichtungen und Geräten herzustellen.

bb. Das Wasser muß vor Beginn der Dämmerung eines dem Verwen­dungstage vorangegangenen Abends geschöpft und an kühler Stelle aufbewahrt werden.

cc. Mehl, Wasser und Teig dürfen weder Sonnen‑ nach der Feuerwär­me ausgesetzt werden.

dd. Die Herstellung ist möglichst rasch zu betätigen. Wenn der Teig vom Eingießen des Wassers bis zum Verbringen in den Backofen mehr als höchstens 18 Minuten ohne Bearbeitung gelegen ist, so ist er als Gesäuertes zu betrachten; dabei werden die einzelnen Unterbrechungen der Arbeit zusammengerechnet.

ee. Der Ofen muß möglichst stark geheizt werden, damit der Teig möglichst rasch und gründlich durchgebacken wird. War vorher Gesäuertes darin gebacken worden, so muß er nach Belehrung eines Torakundigen gründlich ausgeglüht oder mit neuem Lehm bestrichen werden.

ff. Die Brote (Fladen) müssen zur Verhütung von Luftblasen viel­fach durchstochen werden. Alle dennoch entstandenen Luftblasen, deren Hohlraum die Größe einer Haselnuß hat, sowie Falten und nicht vollkommen ausgebackene Stellen sind vor dem Fest pünktlich auszubrechen und zu entfernen.

gg. Die Instrumente und Geräte müssen fortwährend von dem hängen gebliebenen Teig gereinigt werden.

d. Wegen möglicher Verwechslung dürfen wir nach einem durch Jahrhunderte geheiligten Gebrauch auch Hülsenfrüchte, wie Bohnen, Erbsen, Linsen, dann Reis, Hirse, Mais, Buchweizen und Senf, an welche Wasser gekommen ist, am Pessach nicht genießen, wohl aber besitzen; auch dürfen wir, was aus einer Mischung von Getreidemehl mit Früchtesäften, Milch, Eiern berei­tet ist, aus demselben Grunde nicht genießen.

e. Von allem, was wir am Pessachfest genießen wollen, müssen wir die Gewißheit haben, dass es mit Gesäuertem oder säuerungsfähigen Stoffen nie in irgend welche Berührung gekommen ist; wir dürfen deshalb Genußgegenstände für dieses Fst nur von Personen kaufen, die in religiösen Angelegenheiten volles Vertrauen verdienen.

f. Zur Bereitung von Genußgegenständen oder als Tischgeräte am Pessachfest müsen wir entweder besondere Gefäße und Geräte halten oder anderweitig schon gebrauchte nach Anweisung eines Torakundi­gen reinigen. Dieses gilt auch von Öfen, Kochherden, Speise‑ und Anrichttischen u.dgl.

II.

a. Es ist uns geboten, alles Gesäuerte oder mit solchem Gemisch­te, das wir besitzen, vor dem Fest gründlich aufzusuchen und es entweder aus der Welt zu schaffen oder einem Nichtisraeliten rechtskräftig zu schenken oder zu verkaufen. Der Käufer muß einen Teil des Kaufschillings bar erlegen und das erkaufte Gesäuerte in sein Haus bringen. Ist das Fortschaffen dem Käufer unmöglich, so muß man ihm vor oder gleichzeitig mit dem Kauf die Räumlichkei­ten, worin sich das Gesäuerte befindet, vermieten und ihm die Schlüssel aushändigen.

b. Das Aufsuchen (Bedikat Hamaz ) ist am Abend des 13. auf den 14. Nissan am Anfang der Nacht mit einem Licht in allen Räumlich­keiten vorzunehmen, wohin Gesäuertes gekommen sein kann. Das Gefundene muß man gegen Verschleppung wohl verwahren und am 14. Nissan vormittags (etwa um 10 Uhr) aus der Welt schaffen; dies geschieht gewöhnlich durch Verbrennen bei besonders dazu angezün­detem Feuer. Vor dem Aufsuchen spricht man die Benediktion Al Biur Chamaz. Nach dem Aufsuchen  sowie nach dem Verbrennen spricht man die Erklärung aus, dass man das etwa nicht wegge­schaffte Gesäuerte als nichtig und wertlos betrachte, (betul); dieses gschieht durch die Formel kal chamira. (Siehe Haggada).

c. Vom 14. Nissan, dem Rüsttage zum Pessachfest, ist noch folgen­des zu merken. Die männlichen Erstgeborenen, und so lange sie nicht 13 Jahre alt sind, statt ihrer, Vater und Mutter, fasten an diesem Tag. Von Mittag an, also zur Zeit, da im Tempel das Pes­sachopfer  dargebracht wurde, ist die Verrichtung gewerbsmäßiger oder grober Arbeiten etwa wie an den Halbfesten verboten. Auch der Genuß von ungesäuertem Brote (Mazza), außer nötigenfalls in zerriebenem, und nachher gekochtem Zustand, ist an diesem Tage streng untersagt, damit man zu dem für den Abend vorgeschriebenen Genuß solchen Brotes sich die Eßlust bewahre und Gottes Gebot mit Vergnügen erfülle.

III.

a. Wir sind nicht verpflichtet, während des Pessachfestes uns des ungesäuerten Brotes als Nahrungsmittel zu bedienen, dürfen viel­mehr uns mit allem anderen Erlaubten ernähren. Für die beiden ersten Abende jedoch ist uns der Genuß ungesäuerten Brotes (Mazza) geboten.

b. Das zu diesem gebotenen Genusse bestimmte ungesäuerte Brot (Mazza schel Mitzwa, aber unrichtig Mitzwa genannt) ist mit besonderer Hut und Sorgfalt für diesen Zweck zu bereiten, und es wird vor dessen Genuß die Benediktion  al ochlit Mazza gespro­chen. Wir beginnen unsere Abendmahlzeit mit diesem Brote ( Mozi Mazza) und schließen sie mit demselben (Afikoman).

c. Außerdem ist uns geboten, an diesen Abenden bittere Kräuter, (Moror) wie Lattich, Meerrretttich u. dgl. zu genießen, um uns zu erinnern, dass unseren Vätern in Ägypten das Leben verbittert wurde. Als Bild des mit Stroh vermengten Mörtels, den unsere Vorfahren in der Sklaverei verarbeiten mußten, bereiten wir ein Kompott (Charoset) aus gestoßenen Früchten: Äpfeln, Nüssen oder dgl., mengen es mit grob gemahlenen Gewürzen (Zimmet) und tauchen das bittere Kraut vor dem Genusse darein und sprechen die Bene­diktion al achilat Maror. Wir genießen das bittere Kraut einmal für sich allein, und dann noch einmal mit ungesäuertem Brot zusammen, und zwar jedesmal so viel wie ein halbes Ei; auch das ungesäuerte Brot soll, so oft wir es an diesem Abend zu genießen haben, von dieser Größe sein.

d. Unsere Weisen s.A. haben ferner angeordnet, dass jeder, auch der ärmste Israelite, an diesem Abend vier, je mindestens 1 1/2 Eiergrößen fassende Becher Wein trinke, damit wir der vierfachen Wohltat der Befreiung, Rettung, Erlösung und Erwählung gedenken und uns recht herzlich freuen mögen. ( 2. Mos. 6, 6‑7). Um den Armen diesen Genuß zu ermöglichen, sollen wir sie auf dieses Fest besonders unterstützen und familienlose Arme auf diese Abende zu Tische laden.

e. Bei allen diesen vorgeschriebenen Genüssen (mit Ausnahme des ersten Bitterkrautes) sollen wir uns mit der linken Seite an ein Polster lehnen, um die Freiheit sinnbildlich darzustellen.

IV.

a. Die Tora gebietet uns endlich, dass an diesen Festabenden jeder Familienvater seinen Kindern und Hausgenossen, jeder Alleinste­hende aber sich selbst, die Geschichte der wunderbaren Befreiung unserer Väter aus Ägypten erzähle. Für diese Erzählung und die damit verbundenen Lobgesänge und Benediktionen haben wir einen von unseren Weisen s.A. überlieferten Vortrag (Hagada), zwischen dessen Teilen der Genuß der Mazza, des Moror, des Weines und des Festmahles in sinniger Weise eingeschaltet wird.

b. Die Feierlichkeit (Seder), welche einen Hauptbestandteil der Pessachfeier bildet, machte von jeher einen sehr erhebenden Eindruck auf Israels Jugend. Darum sollen Eltern ihre Kinder wach erhalten und alles für die Feier Erforderliche so in die Augen fallend vorzubereiten suchen, dass die Wißbegierde die Jugend zu Fragen nach der Bedeutung der Feier veranlasse.

c. Die Vorbereitung besteht in folgendem: Man stellt die schön­sten Trinkgefäße, die man besitzt, auf den Tisch, legt auf eine Platte oder ein Gestell drei der besonders zubereiteten ungesäu­erten Brote und stellt darüber in schönen Gefäßen, ausser den bitteren Kräutern und dem Kompott, einen mit noch etwas Fleisch versehenen Knochen ( ) und ein Ei, beide gebraten, dann noch ein Kraut, gewöhnliche Petersilie und Essig oder Salzwasser zum Eintauchen des Krautes. Der Knochen (von dem übrigens an den beiden Abenden nicht genossen werden darf) soll an das Pessachopfer, das Ei an das Festmahlopfer im Tempel erinnern. Man wählt dazu ein Ei, weil dieseses in Israel als Sinnbild der Trauer gilt. Wir sollen nämlich mitten in der Festesfreude des zerstörten Tempels nicht vergessen. Das Kraut (Petersilie) wird, in Essig oder Salzwasser getaucht, alsobald nach dem Kiddusch, mit welchem die Feier beginnt, gegessen, nachdem man die Benediktion Bore Peri haAdama gesprochen. Dieser auffallende, scheinbar die Abendmahlzeit eröffnende Genuß hat keinen anderen Zweck, als die Fragelust der Kinder zu erregen. Haben sie gefragt (Ma Nischtana), so beginnt der Vortrag als Antwort. Doch muß dieser Vortrag den Kindern deutlich und verständlich gemacht werden, wenn dadurch dem Gebote der Tora genügt sein soll.

d. Die Reihenfolge der Handlungen ist aus der Haggada ersicht­lich. Nach den vorgeschriebenen vier Bechern darf man an diesen Abenden keinen Wein mehr trinken, nach dem zum Schlusse der Mahlzeit zu genießenden ungesäuerten Brote (Afikoman) nicht mehr essen.

Dieser Tag bleibe euch zum Andenken, und ihr sollt ihn als ein Gott geweihtes Fest feiern; für eure Nachkommen als ein ewiges Gsetz sollt ihr ihn feiern. Sieben Tage sollt ihr nur ungesäuertes Brot essen, jedoch an jenem ersten Tage sollt ihr aus euren Häusern den Sauerteig wegschaffen; denn wer Gesäuertes ißt, die Seele wird aus Israel vernichtet ‑ vom ersten Tag bis zum siebenten Tag…..Ihr sollt die ungesäuerten Brote hüten, weil ich an eben diesem Tage eure Heere aus dem Lande Ägypten hinausgeführt, und ihr sollt diesen Tag hüten für eure Nachkommen als ein ewiges Gesetz. Im ersten, am 14. Tag des Monats, am Abend sollt ihr ungesäuertes Brot essen, bis zum einundzwanzigsten des Monats am Abend. 2. Mos. 12, 14,15,17,18.

Moses sprach zum Volke: Bleibet eingedenk dieses Tages, an wel­chem ihr aus Ägypten, aus dem Sklavenhause gezogen; denn mit Stärke der Hand hat Gott euch von hier hinausgeführt, und es darf nichts Gesäuertes gegessen werden. Heute zieht ihr hinaus im Frühlingsmonat…. Sieben Tage soll nur Ungesäuertes gegessen werden, und es soll bei dir nicht gesehen werden Gesäuertes, und es soll bei dir nicht gesehen werden Sauerteig in deinem Gebiete. Und du sollst deinem Sohne erzählen an jenem Tag: Um dieses willen hat Gott für mich gehandelt, als ich aus Ägypten heraus­zog. 2. Mos. 13, 3,4,7,8.

Sie sollen das Fleisch (des Pessachopfers) in dieser Nacht essen, feuergebraten, und ungesäuertes Brot, nebst bitteren Kräutern sollen sie es essen. 2. Mos. 12,8.

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