Die Vorschriften der Tora über die Verehrung der Eltern sind denjenigen über die Verehrung Gottes beizuzählen. Denn:
1. Wenn wir von den auf Sinai geoffenbarten zehn Worten je fünf auf eine Tafel stellen, so kommt: Ehre deinen Vater und deine Mutter! auf die erste Tafel, welche nur Vorschriften über die Anerkennung und Verehrung Gottes enthält.
2. In den heiligen Büchern wird die Verehrung der Eltern genau mit denselben Ausdrücken geboten, wie die Verehrung Gottes. (2. Mos. 20,12 und Spr.Sal. 3,9; 3. Mos. 19,3 und 5. Mos. 6, 13.)
3. Die Eltern sind uns von Gott durch die Natur sowohl als durch die Tora als Gottes Stellvertreter gesetzt. Ihnen gebietet Gott, uns zu nähren und zu pflegen, und wir müßten in den ersten Stunden unseres Daseins zugrunde gehen, wenn sie dieses Gebot nicht befolgten; ihnen befielt Gott, uns in seiner Tora zu unterweisen, und unser Geist müßte verwildern, wenn sie diesem Befehle nicht gehorchten. als Stellvertreter, Boten und Werkzeuge Gottes in der Erhaltung und Regierung der Welt wirken unsere Eltern an uns, und indem wir sie als solche verehren, verehren wir Gott, der sie für uns bestellt hat.
4. Die Verehrung der Eltern und der Gehorsam gegen sie ist für uns die erste Übung in der Verehrung Gottes und im Gehorsam im gegen ihn. Darum sagen unsere Weisen s. A. in ihrer bildlichen Sprache: Wenn Menschen ihre Eltern ehren, spricht Gott: Das rechne ich ihnen an, als ob ich sichtbar in iherer Mitte wohnte und sie verehrten mich. Wenn sie aber ihre Eltern kränken, spricht er: Wie wohl ist’s, dass ich nicht sichtbar in ihrer Mitte wohne; denn würde ich sichtbar unter ihnen weilen, so würden sie mich kränken. Wie sollte derjenige, der undankbar und ungehorsam ist gegen seine Eltern, die er vor Augen hat, dankbar und gehorsam sein gegen Gott, den Unsichtbaren.
5. Die Überlieferung der geschichtlichen Tatsachen, welche der Tora zugrunde liegen, und dieser selbst beruht lediglich auf treuer Übertragung durch Eltern auf Kinder und auf williger Entgegennahme der Kinder aus den Händen der Eltern (Einltg.2). Somit beruht die Fortdauer der großen Heilsstiftung, welche Gott durch Israel inmitten der Menschheit errichtet, auf dem Gehorsam der Kinder gegen ihre Eltern, und Elternverehrung ist die Grundbedingung der Ewigkeit der jüdischen Nation. (Hirsch, Pent.Komm. 2.Mos. 20,12).
6. Wenn wir diese hohe Bedeutung der Elternverehrung ins Auge fassen, begreifen wir, warum die Tora (2. Mos. 20,12) (5. Mos. 5,16) diesem Gebote die Verheißung glücklichen Bestehens auf seinem nationalen Boden für Israel begefügt hat, und warum sie ferner (5. Mos. 27, 11‑26) beim Einzug Israels ins heilige Land Segen über den aussprechen ließ, der dieses Gebot befolgen, und den Fluch über den, der es vernachlässigen würde. (5.Mos.27,16).