1.Nach den Vorschriften der Tora sollen wir unserem Nebenmenschen nicht bloß mit unserem Vermögen, sondern auch durch unsere persönliche Tätigkeit unsere Liebe erweisen. Diese Art der Wohltätigkeit nennen wir ( ) im engeren Sinne. Insofern mit der Bewirtung von wandernden Armen, Versorgung armer Mädchen und Auslösung Gefangener persönliche Leistungen verbunden sind, gehören diese auch hierher; es sind aber noch folgende hervorzuheben.
Krankenbesuch Bikur cholim
2. Wir sollen die Kranken besuchen; selbst Höherstehende sollen es nicht verschmähen, den Geringen Krankenbesuche zu machen. Personen, mit welchen man bis jetzt entzweit war, soll man nicht besuchen, ohne vorher ihre Einwilligung erlangt zu haben. Wir sollen unsere Besuche so einrichten, dass sie nach dem Urteil des Arztes für den Kranken weder lästig noch nachteilig werden können.
3. Obschon der Besuch an sich Wert hat, weil die Teilnahme der Mitmenschen an seinem Leiden dem Kranken Freude und Erquickung bereitet, so erhält der Krankenbesuch seine wahre Bedeutung erst durch folgendes:
a. Wir sollen darauf achten, ob für den Kranken alles geschehen ist, was Menschen für seine Heilung und Labung tun können, und wenn nicht, so sollen wir es durch Rat und Tat zu beschaffen suchen.
b. Eine länger andauernde Krankhit kann für die Angehörigen des Kranken eine schwere Bürde werden, die ihre eigene Gesundheit gefährdet, namentlich wenn damit Nachtwachen verbunden sind. Um des Kranken und seiner Angehörigen willen sollen wir daher einen Teil dieser Anstrengungen übernehmen und bei der Pflege mitwirken, wenn dieses unsere eigene Kraft und Gesundheit gestattet.
c. Gott ist der treueste, bewährteste Arzt, in seiner Hand liegt Krankheit und Genesung. Darum besteht der Hauptzweck des Krankenbesuches darin, dass wir Gott für diesen und alle übrigen Kranken um Hilfe anflehen.
4. Jeder Schwerkranke soll ermahnt werden, a. seine weltlichen Angelegenheiten zu ordnen, damit niemand durch ihn, falls er stürbe, Schaden oder Unrecht erleide, b. sich mit seinen Feinden auszusöhnen, und c. das Sündenbekenntnis (Wedui) zu sprechen. Da diese Ermahnung, um den Kranken nicht aufzuregen, große Vorsicht erfordert, so ist in vielen israelitischen Gemeinden der nachahmenswerte Gebrauch eingeführt, dass dieses bei jedem Kranken, wenn auch keine Gefahr vorhanden ist, von dazu aufgestellten würdigen Männern oder den Vorstehern der Krankenpflegevereine geschieht. Durch die Allgemeinheit verliert die Mahnung im einzelnen Fall das Aufregende.
5. Von einem dem Tode nahen Kranken darf man sich nicht trennen, um ihn sich selbst oder den betrübten Angehörigen allein zu überlassen. Doch sollen die bei einem Sterbenden anwesenden Personen sich nicht mit leeren Gesprächen unterhalten, sondern Psalmen beten oder mit Torastudium sich beschäftigen. Es ist ein frommes Werk (Mitzwa), bei Sterbenden auszuharren und im Augenblick des Verscheidens die Bekenntnisse zu sprechen: Sch’ma Israel; ( ).
Nach dem Verscheiden sprechen die Umstehenden die Benediktion Din Emet und machen einen kleinen Riß an einer beliebigen Stelle eines ihrer Kleider. An vielen Orten betet man auch Jigdal und Adon olam. (Siehe auch 88, 3).
Heil dem, der auf den Schwachen (Kranken) achtet, am Tage des Unglücks rettet ihn Gott…. Gott wird auch ihn erquicken auf dem Siechbette. Ps. 44. 2. 4.
Als sie krank waren, war mein Gewand ein Trauersack, ich härmte mich mit Fasten ab, in den Schoß gebeugt sprach ich mein Gebet. Als wär’s Freund und Bruder mir, ging ich einher… Ps.35,13.14.
(Als der Prophet Jesaja zu Chiskija sprach): Also spricht Gott: Treffe Anordnungen für dein Haus, denn du wirst sterben und nicht leben, da wanddte Chiskaja sein Angesicht gegen die Wand und betete. (Da ließ Gott ihm verkünden): Ich habe dein Gebet gehört, deine Tränen gesehen; ich werden deiner Lebenszeit hinzufügen fünfzehn Jahre. Jes. 38, 1‑5.
Totenbestattung Keburat Metim
6. Nach der mündlichen Überlieferung haben die Vorschriften der Tora (5.Mos. 21, 22 u. 23), dass der hingerichtete Verbrecher nicht über Nacht unbeerdigt bleiben darf, sondern am Todestag begraben werden muß, den Sinn, dass wir das selbst dem Verbrecher schuldig sind, geschweige denn dem natürlich und ehrlich Verstorbenen. Darum muß jeder Leichnam, nachdem der Eintritt des Todes festgestellt ist, noch am Sterbetag, und jedenfalls sobald als möglich, der Erde übergeben werden, welcher er angehört, sobald sich die Seele von ihm getrennt hat. Verachtung wäre es, nicht Ehre, wollten wir die (überdies auch für die Überlebenden lästige und schädliche) Auflösung des Körpers vor unseren Augen eintreten lassen. Nur so lange darf daher ein Leichnam dem Grab vorenthalten werden, als es die Vorbereitungen zu einer seiner würdigen Beerdigung nötig machen.
7. Wenn eine Leiche in einem Ort ist, sind alle Einwohner verpflichtet, ihre Arbeit einzustllen, bis sie beerdigt ist, es wäre denn, dass Vereine bestehen oder Männer bestellt sind, welche die Vorbereitungen treffen. Die Leichenbegleitung ist eine Pflicht, der sich niemand ohne den triftigsten Grund entziehen darf. Unter Umständen kann man sogar zur Unterbrechung des Torastudiums verpflichtet sein, um eine Leiche zu begleiten.
8. Der Tote muß vom Augenblick des Verscheidens an bewacht, nachdem der Tod feststeht, vom Bett abgehoben und auf den Zimmerboden gelegt, gewaschen, in ortsübliche Sterbekleider eingehüllt, in den Sarg gelegt, zur Grabstätte begleitet und in der Erde begraben werden. So heilig die Pflicht ist, den letzten Willen eines Toten zu erfüllen, wenn jemand verfügt hätte, er wolle nicht begraben werden, so gehorcht man ihm nicht.
9. Für alle diese Verrichtungen bestehen teils allgemeine Vorschriften, teils durch ihr Alter geheiligte örtliche Gebräuche, von welchen nicht abgewichen werden darf. Allgemein vorgeschrieben ist die gleichartige Behandlung aller. Reiche wie Arme erhalten die gleichen Sterbekleider aus weißer Leinwand und einen einfachen, kunstlosen Sarg aus Holz, der wohl allenthalben von Gemeindemitgliedern oder Vereinen gezimmert wird.
10. In der Nähe eines Toten, während der Begleitung und auf dem Begräbnisplatz ist würdiges, anständiges Betragen Pflicht, jede unehrerbietige Handlung verboten. Man spreche über die guten Werke des Dahingeschiedenen, aber ohne Übertreibung. In der Nähe eines Toten, wenn ihn nicht eine Scheidewand deckt, ist es verboten, zu beten, Torazu studieren oder vorzutragen (außer bei der Leichenrede), Tefillin oder Zizit offen zu tragen, zu essen, zu trinken, zu lesen, zu rechnen u.dgl.,ebenso auf dem Begräbnisplatz. auf diesem und in kleinen Ortschaften, so lange eine unbeerdigte Leiche da ist, muß die Begrüßung mit Schalom alichem unterbleiben.
11. Das einmal geschlossene Grab ist unverletztlich. Es gibt wohl Fälle, in welchen ein Ausgraben stattfinden kann, darüber hat aber ein Torakundiger zu entscheiden. Im allgemeinen gilt die Vorschrift, dass alles, was einmal für einen Toten bestimmt und infolge dieser Bestimmung ihm angelegt worden ist, sowie die Gräber, unantastbares, für niemand benutzbares Eigentum der Toten bleibt, bis Gott sie weckt am Tage der Auferstehung.
David schickte Boten zu den Männern von Jabes‑Gilead und ließ ihnen sagen: Seid gesegnet von Gott, dass ihr diese Liebe geübt mit eurem Herrn, mit Saul, und ihn begraben habt; so möge Gott auch mit euch Gnade und Treue üben. 2. Sam. 2. 5‑6.
Das Trösten der Trauernden Nichom Awelim
12. Es ist uns geboten, Trauernde zu trösten und ihnen Worte zu sagen, die geeignet sind, ihren Kummer zu lindern und ihr Vertrauen auf Gott zu stärken. Doch soll der die Leidtragenden Besuchende die Anrede derselben abwarten. ‑ Während der sieben Trauertage sollen sich, selbst wenn keine Trauernden da sind, zehn Männer morgens und abends im Sterbehause zum Gebet versammeln; es ist allgemeine Sitte, dabei Tora vorzutragen. ‑ Da dem Trauernden der Geschäftsbetrieb verboten ist (76,2,b), so sollen ihm Nachbarn und Bekannte Speisen zutragen, damit er nicht Not leide. Um Arme hierdurch nicht zu beschämen, ist es allgemeiner Gebrauch in Israel, auch den Reichen Speisen zu schicken. ‑ Beim Weggehen vom Trauerbesuch betet man: Gott tröste dich (euch) nebst allen, die um Zion und Jerusalem trauern. ( )
Als die drei Freunde Ijobs… hörten all dieses Leid, das über ihn gekommen, da brach jeder von seinem Wohnorte auf und sie verabredeten sich, hinzugehen und ihm zu bemitleiden und zu trösten… Sie saßen bei ihm… sieben Tage und sieben Nächte; keiner aber sprach ein Wort zu ihm, denn sie sahen, dass der Schmerz groß war. Ijob 2, 11‑13.
(Als Ijob zuerst gesprochen hatte,) da antwortete Eliphas aus Theman: …. Siehe! Heil dem Sterblichen, den Gott zurechtweist; darum verachte des Allmächtigen Zucht nicht. Denn er verwundet und verbindet, er verletzt und seine Hände heilen. Ijob 5, 17,18. Besser zu gehen in das Haus der Trauer, als zu gehen in das Haus des Mahls, weil jenes das Ende aller Menschen ist, so wird der Lebende es sich zu Herzen nehmen. Pred. 7,2.
Das Erfreuen der Brautleute
13. Wir sollen nicht nur mit den Betrübten weinen, sondern auch bestrebt sein, unseren Mitmenschen Freude zu bereiten, und mit den Fröhlichen uns freuen. In der Eheschließunbg erreicht der Mensch das höchste Ziel seines berechtigten irdischen Strebens und zugleich die wichtigste Bedingung seines ewigen Heils. Darum gilt der Hochzeitstag als der größte Freudentag des Daseins. Es gilt darum als frommes Werk (Mitzwa), jungen Leuten, besonders armen, zu einer für sie geeigneten Eheverbindung uneigennützig zu verhelfen und Brautleute am Hochzeitstag zu erfreuen. Auch die Teilnahme an anderen freudigen Familenereignissen ( ) wird als frommes Werk empfohlen.