Verschiedene Vorschriften zur Förderung der Liebe

1. Die schwere Vorschrift, erlittenes Unrecht zu vergessen, werden wir um so leichter erfüllen können, wenn wir die in dem Torawort begründete Vorschrift unserer Weisen s.A. befolgen: Beurteile jeden Menschen von der besseren Seite! Dieselbe fordert von uns, auch dann, wenn wir Unrechtes von unserem  Nebenmenschen gesehen oder durch glaubwürdige Zeugen gehört haben, noch immer einen Entschuldigungsgrund für seine Tat oder deren Absicht zu suchen, bis wir die volle Überzeugung gewonnen haben, dass er die schlechte Tat aus schlechten Beweggründen getan hat.

2. Es ist verboten, gegen einen Menschen, von dem wir bisher nichts Böses wußten, den Verdacht sündhafter Handlungen zu hegen, und wir sind verpflichtet, dem Verdächtigen, wenn er von unserem falschen Verdacht gehört hat, Abbitte zu leisten. ‑ Doch ist auch jeder schuldig, seine Handlungen so einzurichten, dass sie nicht Anlaß zu falschem Verdachte geben; wir müssen bestrebt sein, wie vor Gott, so auch vor Menschen gerecht zu erscheinen.

3. Friede und Eintracht sind hohe, heilbringede Güter für die Menschheit, die schönsten Blüten der Liebe. Darum wird uns in den heiligen Schriften und in den Worten unserer Weisen s. A. viel­fach geboten, den Frieden zu erstreben und herzustellen, wo es immer ohne Verletzung der Gebote Gottes möglich ist. Unsere Weisen und Gesetzeslehrer s.A. lehren, dass es nicht nur verboten ist, Streit zu stiften, sondern auch darin zu verharren, ja auch nur denen zu antworten, die mit uns Zank und Streit suchen.

4. Das Gebot der Nächstenliebe verbindet uns mit allen Menschen außer unseren Verwandten gleichmäßig; wir müssen jeden Menschen als Menschen lieben, wenn auch seine Eigentümlichkeit als Einzelwesen mit der unsrigen nicht übereinstimmt. Wir sollen aber bestrebt sein, mit guten und edlen Menschen das engere Bündnis der Freundschaft zu schließen, damit diese uns offenher­zig vom Bösen abraten, zum Guten ermuntern und gemeinschaftlich mit uns gute Werke ausführen, die einzelnen unmöglich sind. Die Freundschaft einzelner wirkt auch fördernd auf die allgemeine Menschenliebe, indem sie zeigt, wie eng die Menschheit miteinan­der verbunden sein könnte, wenn jeder seinen Wandel so einrichten würde, dass jeder Gute in ihm einen Freund fände (David und Jona­tan). ‑ Engere Frendschaftsbündnisse mit schlechten, sündhaften Menschen sind verderblich und darum verboten. ‑ Wir sollen unseren Freunden in Leid und Freud Treue bewahren und dürfen die von ihnen uns anvertrauten Geheimnisse auch dann nicht verraten, wenn die Freundschaft sich aufgelöst haben sollte.

5. Wenn auch nicht in allgemeinen Worten, so gebietet uns die Tora doch in einem Beispiel die Dankbarkeit. Wir sollen die Ägypter nicht verabscheuen, weil wir Fremdlinge in ihrem Land gewesen sind. (5. Mose 23,8). Wenn wir verpflichtet sind, den Ägyptern, die uns so viel Böses getan haben, für ihre Gastfreund­schaft dankbar zu sein, wie viel mehr sind wir schuldig, gegen jeden anderen Wohltäter uns dankbar zu erweisen. ‑ Die Dankbar­keit besteht darin, dass wir empfangene Wohltaten als solche gerne anerkennen, ihrer stets eingedenk bleiben und unserem Wohltäter und seinen Nachkommen ebenfalls nach Kräften Gutes erweisen. ‑ Die Undankbarkeit ist ein schändliches, von Gott vielfach geta­deltes Laster. Auch gute Menschen verlieren die Neigung zum Wohltun, wenn ihnen mit Undank vergolten wird. Wer gegen Menschen undankbar ist, wird leicht auch Gottes Wohltaten vergessen. Die Undankbarkeit widerspricht der Pflicht des Wandelns in den Wegen Gottes, der von sich spricht: Ich bewahre Gnade bis ins tausend­ste Geschlecht denen, die mich lieben.

6. Wir sind verpflichtet, unserer Menschenliebe und Menschenach­tung im Umgang mit anderen durch aufrichtige Freundlichkeit, Sanftmut und Höflichkeit Ausdruck zu geben. Wir sollen jeden Menschen freundlich empfangen, jeden, dem wir begegnen, grüßen, ohne seinen Gruß abzuwarten. Rabban Jochanan ben Sakkai, einer der größten Männer unserer Vorzeit, rühmt sich, dass ihm niemals der niedrigste Mensch mit seinem Gruß zuvorgekommen sei. Freund­lichkeit und Höflichkeit fördern den Frieden und die Liebe unter den Menschen; darum haben die Weisen s.A. den Gebrauch einge­führt, mit dem Namen Gottes zu grüßen, obschon die Nennung eines Gottesnamens sonst streng verboten ist. (29,3) (Rut 2,4).

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