a. Sprich nichts Unnützes, geschweige denn Unreines
1. Das Werk unserer Heiligung ist sehr wesentlich bedingt durch die Gewalt, welche wir über unsere Zunge haben, durch unserer Übung in der Kunst zu schweigen. Den Gedanken können wir immer noch beherrschen, unterdrücken. Das gesprochene Wort ist oft schon die halbe Tat, noch öfter eine ganze, volle sündhafte Tat. Je leichter aber Zungensünden sich vollziehen, desto wichtiger ist es, unsere Zunge fest im Zaume zu halten.
2. Die Fähigkeit, zu sprechen, ist die herrlichste Gottesgabe, die den Menschen ziert. Sie ist ihm zu heiligen und nützlichen Zwecken verliehen worden. Torastudium, Gebet, Worte der Liebe und des Wohlwollens, der Ermunterung und des Trostes gegen den Nebenmenschen sind ihre heilige Aufgabe; die Vermittlung eines gerechten und wahrheitsgetreuen Verkehrs unter der menschlichen Gesellschaft ist der nützliche Zweck, dem sie dienen soll. Alles wertlose Sprechen aber, welches weder dem einen noch den anderen Zwecke dient, ist, wenn der Inhalt auch nicht sündhaft ist, weil es leicht zum Sündhaften führt, von unseren Weisen s.A. auf grund von Schriftstellen verboten.
3. Aber auch bei der berechtigkeiten und pflichtmäßigen Rede verbieten unsere Weisen s.A., Bezeichnungen für häßliche und niedrige Dinge auszusprechen, und gebieten uns, solche zu umschreiben, und uns stets einer anständigen Ausdrucksweise zu bedienen, wie denn die hebräische Sprache unter anderen Gründen auch darum die heilige genannt wird, weil ihr Bezeichnungen für häßliche Dinge ( ) fehlen.
4. Ganz besonders hindernd stehen unserer Heiligung entgegen alle zweideutigen, schlüpfrigen und unzüchtigen Reden, welche Dinge, über welche man nicht denkeen, die man nicht mit Augen ansehenkann, ohne zu erröten, in Worte kleiden und schamlos aussprechen. Solche Reden werden von unseren Weisen s.A. als eine der schwersten Sünden bezeichnet, welche zeitliches und ewiges Elend über die bringen, welche sie begehen. ( ).
Bei vielen Worten fehlt es nicht an Sünden; wer aber seine Lippen zügelt, handelt weise. Spr. Sal. 10,19.
Wer seinen Mund un seine Zunge bewacht, bewahrt seine Seele vor Leid. Spr. Sal. 21, 23.
Leben und Tod ist in der Gewalt der Zunge, wer sie pflegt, genießt ihre Frucht. Spr. Sal. 18,21.
Der Mund des Toren ist sein Verderben, und seine Lippen eine Schlinge für seine Seele. Spr. Sal. 18, 7.
Sei nicht vorschnell mit deinem Munde und dein Herz eile nicht, ein Wort auszusprechen vor Gott; denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde; darum laß deine Worte wenig sein. Pred. Sal. 5,1.
b. Vermeide Gelübde, aber halte sie heilig
5. Wir müssen um so mehr unsere Zunge bewachen, dass sie nicht vorschnell Worte spreche, da die Tora von uns die Heilighaltung des gesprochenen Wortes fordert. Dass wir jedes Versprechen, durch welches wir irgend einem unserer Nebenmenschen einen Anspruch an uns eingeräumt haben, unverbrüchlich erfüllen müssen, ist bereits (86,11) gesagt worden. Dieselbe Heilighaltung fordert aber die Tora von uns auch für solche Gelübde, die wir Gott oder uns selbst gegenüber ausgesprochen haben, ohne uns irgend einem Menschen zu verpflichten.
6. Die Tora unterscheidet zwei Arten solcher Gelübde (und von diesen ist hier die Rede):
a. Entsagungsgelübde ( ), d.h. solche, durch welche jemand sich selbst etwas Erlaubtes versagt, und
b. Versprechungsgelübde ( ), d.h. solche, durch welche jemand gelobt, irgend ein gutes Werk, wozu er anderweitig nicht verpflichtet wäre, auszuüben. Von beiden Arten verbietet die Tora, unser Wort durch Unerfülltlassen des Gelübdes zu entweihen und gebietet, alles, was über unsere Lippen gegangen ist, treulich zu erfüllen; von den Versprechungsgelübden verbietet sie außerdem, das Versprochene über die festgesetzte Frist hinaus, oder wenn eine solche nicht bestimmt ist, überhaupt zu verschieben.
7. Da das leicht erregbare weibliche Geschlecht sich sehr leicht zu Versprechungen und Entsagungen hinreißen läßt, die bei seiner Abhängigkeit vom Mann oft schwer zu erfüllen sind, so gestattet die Tora dem Vater, die Erfüllung aller Gelübde seiner noch nicht 12 1/2 Jahre alten Tochter zu verwehren; dasselbe gestattet die Tora dem Ehegatten in bezug auf alle Entsagungsgelübde seiner Gattin ( ). Aber der Vater sowohl als der Gatte muß dieses sein Verwehrungsrecht noch vor Einbruch der Nacht desjenigen Tages ausüben, an welchem er Kunde vvon dem Gelübde erhalten hat. Der Verwehrerungausdruck für Vater und Gatte lautet: ( ), es ist dir zerstört!
8. Da wir mit jedem Gelübde uns der Gefahr aussetzen, das Gelobte nicht zu erfüllen, so sollen wir überhaupt nicht geloben, sondern das von uns als gut Erkannte tun, ohne uns vorher durch ein Gelübde zu binden. Darum bezeichnen unsere Weisen das Gelübde als eine Sünde, und die Tora gebietet, dass wir namentlich Entsagungsgelübde nicht auf uns lasten lassen, sondern suchen sollen, auf die von der Tora hierfür vorgeschriebene Weise davon entbunden zu werden. ( ).
9. Die Vorschriften der Tora über die Entbindung von Gelübden sind folgende: Wer ein Entsagungsgelübde getan hat und dasselbe bereut, soll, wenn die Zeit zu dessen Erfüllung gekommen ist, vor ein Kollegium von drei Männern treten, welche die einschlägigen Toravorschriften kennen, und sie um Lösung seines Gelübdes bitten. Dieselben sollen das Gelübde prüfen, und wenn es überhaupt lösbar ist, sollen sie ihm nachweisen, dass es besser gewesen wäre, gar nicht gelobt zu haben. Hat er diese Überzeugung gewonnen und erklärt, dass er aufrichtig bereue, das Gelübde getan zu haben, dann sprechen sie dreimal ( ), es soll dir erlassen sein.
10. Es sind nicht alle Gelübde lösbar. Außer solchen Gelübden, die eine Verpflichtung gegen irgend einen Menschen enthalten, sollen auch jene Gelübde nicht gelöst werden, welche sich jemand auferlegt hat, um einer Leidenschaft, einer sündhaften Gewohnheit Schranken zu setzen. Hätte z.B. ein leidenschaftlicher Spieler gelobt, nie mehr Karten oder Würfel zu berühren, so dürfte ihm dieses (wie jedes ähnliche) Gelübde nicht gelöst werden. Versprechungsgelübde, z.B. Armenspende zu geben, diesen oder jenen Abschnitt der Tora zu studieren u. dgl., ist jeder, so lange es immerhin möglich ist, zu erfüllen verpflichtet; darum sollen derartige Gelübde nur im dringendsten Notfall gelöst werden.
11. Wer, um sich zu üben oder eine Schranke zu setzen, auch nur einmal sich etwas Erlaubtes versagte und dabei sich vornahm, es immer so zu halten, dem gilt dieser nicht ausgesprochene Entschluß als Gelübde. Wer eine solche Entsagung dreimal geübt hat, dem gilt diese Übung als Gelübde, wenn er auch vorher nicht daran gedacht hat, das immer zu tun (z.B. wer drei Jahre nacheinander einen der freiwilligen Fasttage gefastet hat). Darum soll jeder, der derartiges tut, voraus die Erklärung aussprechen, dass er es nicht als Gelübde auf sich nehme. ( ). Wenn ein Mann Gott ein Gelübde tut oder einen Eid schwört, um seinem Willen eine Fessel anzulegen, so darf er sein Wort nicht kraftlos lassen; alles, was von seinem Munde geäußert worden, muß er tun. 4. Mos. 30,3.
Eine Frau aber, wenn sie Gott ein Gelübde tut, oder (sich durch) eine Fessel bindet im Hause ihres Vaters in der Jugend… und wenn ihr Vater an dem Tage, da er es hörte, sie gehindert hat, so soll nichts an ihren Gelübden und an ihren Fesseln, womit sie ihren Willen gebunden, Bestand haben; Gott wird ihr verzeihen, denn ihr Vater hat sie gehindert. 4. Mos. 30, 4.6.
Wenn sie eines Mannes wird und hat Gelübde auf sich oder einen Ausspruch ihrer Lippen, durch den sie ihren Willen gebunden…. oder wenn sie im Hause ihres Mannes ein Gelübde getan ode ihren Willen durch eine Fessel eidlich gebunden hat, und ihr Mann hat es gehört und hat ihr geschwiegen, hat sie nicht gehindert, so haben alle ihre Gelübde Bestand und jede Fessel, durch die sie ihren Willen gebunden, hat Bestand. Wenn aber ihr Mann dieselben stört am Tage, da er sie gehört hat, so soll jede Äußerung ihrer Lippen in Beziehung auf ihre Gelübde und ihre Willensfesselung keinen Bestand haben; ihr Mann hat sie gestört und Gott wird ihr verzeihen. Jedes Gelübde und jeden fesselnden Eid zur Selbstverkümmerung: ihr Mann kann’s bestehen lassen, und ihr Mann kann’s stören. 4. Mos. 30, 7. 11‑14.
Wenn du Gott, deinem Gott, ein Gelübde gelobst, verschiebe nicht, es zu erfüllen; denn einfordern wird es Gott, dein Gott, von dir, und an dir würde Versündigung haften. Wenn du aber unterlässest, Gelübde zu tun, so wird keine Versündigung an dir sein. Was aber deine Lipppen geäußert, das mußt du hüten und erfüllen, wie du Gott, deinem Gotte, eine Weihung gelobt hast, was du mit deinem Munde ausgesprochen hast. 5. Mos. 23, 22‑24.