1. Da, wo die Staatsgesetze die Eheschließung von einer bürgerlichen Behörde fordern, ist der Israelit verpflichtet, auch darin dem Staatsgesetz willigen Gehorsam zu leisten, ohne dass er diese Art der Eheschließung als einen Eingriff in sein Geissen anzusehen braucht; er darf jedoch die Frau nicht als seine Gattin betrachten, so lange er die Ehe nicht auch nach den Vorschriften der Tora geschlossen hat.
Wer das unterläßt, der übertritt das Gebot der Tora, dass jede Ehe nach gewissen, von der Tora vorgeschriebenen Formen zu schließen ist, und verletzt das Verbot der Tora, dass keine Ehe vollzogen werden darf, die nicht nach diesen Bestimmungen geschlossen worden ist.
2. die Eheschließungshandlung besteht in folgendem: In Gegenwart zweier, zur Zeugenschaft nach jüdischem Recht zulässiger (98,5)(), weder mit den Eheschließenden noch unter sich verwandter, die Handlung genau beobachtender Zeugen übergibt der Bräutigam seiner Braut einen goldenen Ring, den diese sich von ihm freiwillig an den Zeigefinger der rechten Hand stecken läßt, indem er spricht: ( ), das heißt in deutscher Sprache: Siehe, durch diesen Ring sollst du mir geheiligt sein nach dem Gesetz Moses und Israels.
Dass es ein goldener Ring ist, der an den Zeigefinger gesteckt wird, ist allgemeine Sitte; jeder andere Gegenstand vom Wert einer Peruta ( ), feines Silber vom Gewicht eines halben Gerstenkorns) und jede Art der freiwilligen Entgegennahme genügen, wenn Geben und Nehmen des Gesgenstandes zum Zwecke der Eheschließung stattgefunden haben. Der Ring muß vor der Übergabe Eigentum des Bräutigams sein und durch die übergabe Eigentum der Braut werden; er soll keinen Stein enthalten, weil durch einen solchen eine Täuschung über den Wert des Ringes möglich ist. Dieser Teil der Handlung heißt „Angelobung“ ( ); er wurde früher lange Zeit vor der Hochzeit vorgenommen und hat die Folge, dass von da ab die Braut für alle Welt als das Weib eines anderen zu betrachten ist. Wo in der Tora das Wort ( ) vorkommt, ist diese Handlung darunter zu verstehen.
3. Vollzogen wird aber die Eheschließung auch für den Bräutigam erst dadurch, dass er mit der Verlobten unter eine gemeinschaftliche Bedachtung (Chuppa) tritt. In manchen Gemeinden hat man dazu einen Baldachin, in anderen umhüllen sich die Eheschließenden gleichzeitig mit einem und demselben Tallit. Dieser zweite Teil der Handlung heißt nach seiner Bedeutung „Heimführung“ (nissu’in), und durch ihn wird die Verlobte erst die Ehe‑ und Hausfrau ihres Verlobten, wenn dabei noch folgendes vorangegangen ist.
4. Es ist nämlich erforderlich, dass der Bräutigam einen Vertrag (k’tuba) ausstellt, worin die Pflichten, die er gegen seine Frau übernimmt, im allgemeinen aufgestellt sind, durch welchen er aber insbesondere seiner Frau eine gewisse, in ihrem Mindestbetrag vorgeschriebene Summe Geldes bestimmt, welche sie von ihm oder seiner Hinterlassenschaft erhalten muß, falls er sich von ihr scheiden lassen oder vor ihr sterben sollte. Das in dem Vertrag enthaltene Versprechen bestätigt er außerdem noch durch den sogenannten Mantelgriff ( )
Der Mantelgriff ist eine der verschiedenen Rechtsformen, durch welche nach jüdischem Recht Besitzesübertragungen rechtskräftig werden, dem sonst üblichen Handschlag ähnlich. Der Bräutigam ergreift die ihm von den Zeugen dargebotenen Zipfel ihrer Oberkleider in der ausgesprochenen oder vorausgesetzten Absicht, seinen Versprechungen damit unbedingte Rechtskraft zu geben.
Der vor der Handlung geschriebene und durch Mantelgriff bestätigkte Vertrag wird nach der Übergabe des Ringes vorgelesen. Die Unterzeichnung durch zwei Zeugen findet in manchen Gegenden vor, in manchen nach der Handlung statt, in Deutschland wird er auch vom Bräutigam unterschrieben.
5. Vor Beginn der Handlung spricht der sie leitende Torakundige zuerst die Benediktion über einen Becher Wein, dann, wie vor der Ausübung jedes anderen Gebotes der Tora, eine entsprechende Benediktion ( ). Nach der Übergabe des Ringes und der Vorlesung des Vertrages werden sieben Benediktionen ( ), die erste ebenfalls über einen Becher Wein, gesprochen. Die sieben zuletzt erwähnten Benediktionen, die beim Hochzeitsmahl wiederholt wrden, dürfen nur in Gegenwart von zehn erwachsenen Mannspersonen, den Bräutigam eingerechnet, gesprochen werden; auch die ( ) soll nur mit Minjan gesprochen werden.
6. Schwerer Tadel trifft denjenigen, der ohne vorherige Verabreddung bei zufälligem Zusammentreffen eine Eheschließung vollzieht. Wenn es aber geschehen ist, dass im Beisein zweier Zeugen ein Wertgegenstand gegeben und angenommen wurde, so hat das insofern volle Gültigkeit, dass die Frau als Ehefrau (eschet isch) zu betrachten ist und ohne vorhergegangene vorschriftsmäßige Scheidung (Get) eine weitere Ehe nicht eingehen kann.
7. Die Notwendigkeit, eine Ehe durch Scheidung aufzulösen, ist ein schweres Unglück, der Altar vergießt Tränen über den, der sich von der Erwählten seiner Jugend trennt, sagen bildlich unserer Weisen s.A. Dennoch gebietet die Tora die Scheidung, wenn die Heiligkeit der Ehe schwer verletzt worden ist, und gestattet sie, wenn das Zusammenleben für die Gatten statt einer Quelle des Segens und des Heils ein Kelch des Leidens und des Kummers geworden ist. Die Erteilung des Scheidebriefes (Get) hat aber die Tora an sehr umständliche Vorschriften geknüpft, weshalb eine Scheidung nur unter Leitung eines mit den betreffenden Vorschriften genau vertrauten, volles Vertrauen verdienenden Talmudgelehrten vollzogen werden darf. ‑ Sehr verbreitet ist der Gebrauch, dass dieser Talmudgelehrte zwei Torakundige Beisitzer wählt und die Scheidung vor diesem Kollegium (Bet Din) vorgenommen wird.
8. Nach der Scheidung dürfen sich die Geschiedenen gegenseitig und mit anderen Personen wieder verehelichen; nur wenn die geschiedene Frau einen anderen Mann geheiratet hatte und von diesem durch den Tod oder Scheidung wieder getrennt worden ist, darf sie ihr erster Mann nicht mehr ehelichen.
Wenn ein Mann eine Frau sich aneignet und ehelicht, so sei es, wenn sie keine Zuneigungswürdigkeit in seinen Augen findet, weil er eine klageberechtigte Blöße an ihr gefunden, so schreibe er ihr einen Scheidebrief, gebe ihn in ihre Hand und entlasse sie aus seinem Hause. Sie scheidet dann aus seinem Hause und kann hingehen und eines anderen Mannes werden. Haßt sie nun dieser letzte Mann und schreibt ihr einen Scheidebrief, gibt ihn in ihre Hand und entläßt sie aus seinem Hause, oder es stirbt der letzte Mann, der sie sich zum Weibe angeeignet hatte, so soll ihr erster Mann, der sie entlassen hat, nicht befugt sein, sie sich wieder anzueignen, seine Frau zu werden, nachdem sie durch ihn veranlaßt worden, aufzuhören, für ihn rein zu sein; denn das ist ewas von Gott Verabscheutes. 5. Mos. 24, 1‑4.